Als introvertierte Person im Assessment Center: Ein kleines Erfolgsrezept für stille Menschen

Dein Traumjob mit Impact ist zum Greifen nah - doch wenn du an die nächste Hürde, das Assessment Center (AC) denkst, bekommst du bereits Bauchschmerzen? Denn es ist überhaupt nicht deine Art, dich proaktiv zu zeigen, noch dazu vor mehreren fremden Menschen? Keine Panik: In diesem Artikel erfährst du, wie du sogar als sehr introvertierte Person das AC meisterst - und zwar ohne, dass du dich dafür verstellen oder gar »verkaufen« musst. Versprochen!
Antonino Visalli on Unsplash.com
von Jana Hansl, 3. Mai 2023 um 10:04

Sind wir mal ehrlich: Auf den ersten Blick scheint es so, als wären introvertierte Menschen bei einem klassischen Assessment Center (AC) extrem benachteiligt. Schließlich geht es darum, sich unter vielen fremden Menschen Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen, bei Aufgaben in Gruppenarbeit zu glänzen, die eigenen Leistungen zu präsentieren und unter meist großem Zeitdruck Ideen zu entwickeln. Übungen, die allem Anschein nach ausschließlich für laute, extravertierte Personen designt sind. Noch dazu sind dir als introvertierte Seele Konkurrenzkämpfe und jegliche Ellenbogen-Situationen wahrscheinlich extrem zuwider. Aber hier kommt die gute Nachricht: Ich habe aus einem Grund geschrieben, es scheint so. Denn es gibt Wege, wie du gerade als stiller Mensch all diese Übungen für dich arbeiten lassen und dabei ganz du selbst bleiben kannst. Hierzu ist es zunächst wichtig, dass du weißt, in welche Falle du auf keinen Fall tappen solltest.

How NOT to do it: Mein vermasseltes Assessment Center

Ich möchte dir eine Geschichte aus meinem Leben erzählen, die veranschaulicht, wie es nicht funktioniert: Vor ein paar Jahren wurde ich zu einem AC eingeladen, bei dem es um ein Stipendium ging - es war absolutes ein Desaster: Ich fühlte mich komplett überfahren, hatte das Gefühl, bei Gruppenaufgaben nicht zu Wort zu kommen, da ich immer noch reflektierte und überlegte, während die anderen bereits mit ihren Beiträgen glänzten. Ich bekam Panik, als mir bewusst wurde, dass mein Redeanteil so gering war. Die einzige Art, zu Wort zu kommen, dachte ich, sei, es so zu machen, wie die meisten von ihnen: Mich möglichst schnell zu melden, ohne vorher genau zu wissen, was ich sagen wollte, um nicht passiv zu wirken, lauter zu sein, mich selbst mehr zu zeigen. Als Hardcore-Intro-Nerd für mich ein Unterfangen, das natürlich zum Scheitern verurteilt war. Außerdem war ich nicht ausreichend vorbereitet. Und meine soziale Batterie war an diesem Tag bereits morgens leer. 

Aus diesen Dont’s ergeben sich jedoch auch die wichtigsten Do’s für ein erfolgreiches AC: Vorbereitung, Authentizität und Vertrauen. Folgende Strategien habe ich nach meinem misslungenen AC selbst ausprobiert und kann bestätigen, dass sie funktionieren:

Vorbereitung statt Spontanität 

Gerade dieses Thema ist für uns Intros ungeheuer wichtig. Denn im Gegensatz zu extravertierten Menschen (»Woher soll ich denn wissen, was ich denke, wenn ich es noch nicht gesagt habe?«) benötigen wir Zeit zum Nachdenken, bevor wir sprechen. Es fällt uns daher schwer, spontane geistreiche Antworten zu geben, wenn wir - vor allem in einer größeren Runde - etwas gefragt werden. Ich formuliere das manchmal so: Der Weg vom Kopf zum Mund dauert bei uns einfach etwas länger. Unsere besten Beiträge leisten wir, wenn wir unsere Gedanken in Ruhe, alleine und am besten schriftlich ordnen können. Nimm dir diese Zeit daher unbedingt schon vor dem AC. 

Überlege dir, welche Fragen typischerweise immer bei solchen Veranstaltungen kommen und was du darauf antworten möchtest. Strukturiere deine Antworten, schreibe sie dir auf, lerne sie nahezu auswendig und übe sie immer wieder vor dem Spiegel. Überlege dir auch ganz genau, wie du dich selbst vorstellen wirst. Hierbei kannst du dich an den Fragen »Who?«, »What?« und »Why?« orientieren. Also: Wer bist du, was machst du und warum? Das Warum ist der Aspekt, dem du am meisten Aufmerksamkeit widmen solltest. Hier ist eine Auswahl an Fragen, zu denen du dir unbedingt schon vorher Antworten überlegt und diese ein paar mal geübt haben solltest:

  • Wer bist du, was machst du gerade (beruflich, Studium, etc.) und warum?
  • Warum hast du dich für diesen Job/dieses Stipendium/etc. beworben? Was motiviert dich dazu?
  • Warum gerade diese Firma? Wie überschneidet sich die Unternehmensmission mit deiner eigenen?
  • Warum bist du die richtige Person dafür?
  • Was macht dich aus?
  • Was sind deine 3 größten Stärken und deine 2 größten Schwachpunkte?
  • Was sind deine wichtigsten Ziele, beruflich und privat?
  • Was begeistert dich?
  • Welchen Impact möchtest du erreichen, an welchem Wandel möchtest du teilhaben?
  • Was soll auf der Welt anders sein, weil es dich gibt?
  • Was machst du in deiner Freizeit gerne?
  • Was war in deinem Leben eine große Herausforderung und wie hast du sie gemeistert?
  • Wie gehst du mit Ablehnung/Misserfolgen um?
  • Wie gehst du mit stressigen Situationen um?
  • Welche Charakterzüge schätzt du an anderen Personen besonders?

Achte bereits beim Üben darauf, dass du eine aufrechte Körperhaltung einnimmst und klar und deutlich sprichst.

Denke auch an deine begrenzte soziale Batterie und dass dein Akku am Tag des Assessment-Centers aufgeladen sein sollte. Das bedeutet: Keine Treffen oder Aktivitäten am Tag zuvor, die dir Energie ziehen. Denn als introvertierter Mensch können dich Aktivitäten mit mehreren Menschen, die du nicht kennst, Energie kosten, die du z.B. durch Alleinsein und Ruhe wieder aufladen kannst. Daher - je nachdem, wie deine Introversion ausgeprägt ist - am Tag vorher vielleicht lieber mit einem Buch auf der Coach chillen als Freund:innen treffen ;) 

Authentizität statt Anpassung

Wie schon gesagt: Die verhängnisvolle Falle, in die wir als Intros tappen können, ist die Nachahmung des Verhaltens extravertierter Menschen. Wir glauben, wir könnten uns besser behaupten, wenn wir nur mehr wie sie sind. Das ist jedoch ein gefährlicher Trugschluss, denn so funktionieren wir einfach nicht. Gute Personaler:innen merken sofort, wenn wir uns verstellen - und falls sie es nicht merken, landest du schlimmstenfalls im falschen Job, da gezielt nach einer Persönlichkeit gesucht wurde, die du in Wahrheit überhaupt nicht bist. Viel cleverer ist es, gezielt genau die Stärken zu nutzen, die deinem Naturell entsprechen:

Zuhören, Beobachten und Wertschätzung ausdrücken

Wenn du z.B. im Laufe einer Gruppenarbeit merkst, dass du nicht zu Wort kommst, bleibe ruhig und höre den anderen aufmerksam zu. Stelle Fragen. Es entspricht dir sowieso viel mehr, richtig gute Fragen zu stellen und die anderen reden zu lassen. Bekomme keine Panik und unterbrich niemanden. Mache dir ggf. Notizen und fasse die Ideen der anderen zusammen. Du kannst auch am Ende, wenn du selbst keine Zeit hattest, einen Wortbeitrag zu leisten, Dinge sagen wie: »Danke für eure wertvollen Beiträge, ich stimme mit … überein und würde gerne noch ergänzen, dass …« oder »Die Idee von dir, (Name), hat mich wirklich beeindruckt« oder »Danke für eure inspirierenden Ideen, ich würde das nochmal eben zusammenfassen. Habe ich richtig verstanden, dass…?«. 

In einer größeren Runde, in der man nacheinander etwas sagt, kannst du es dir zur Gewohnheit machen, den Bewerber:innen, die vor dir sprechen, ganz genau zuzuhören und deren Gesagtes aufzugreifen, wenn du an der Reihe bist. Zum Beispiel mit Sätzen wie: »Wie (Name) schon gesagt hat, finde ich…«, oder »Ich möchte nochmal wertschätzen, was (Name) eingebracht hat und ergänzen, dass…« oder »Ich kann mit (Name) mitfühlen und habe ähnliche Gedanken dazu, nämlich…« oder du antwortest auf den Beitrag einer anderen Person, oder stellst jemandem gezielt eine Frage: »(Name), du meintest ja vorhin, dass…mich würde deine Perspektive zu…interessieren« 

So vermeidest du es, nonstop über dich selbst zu sprechen und dich auf eine Art und Weise darzustellen, die dir nicht liegt. Zusätzlich zeigst du auf ganz natürliche Weise, dass du präsent bist, zuhören kannst und dich für andere Menschen und deren Meinungen und Ideen interessierst. Personaler:innen lieben das. 

Tipp: Wie du den Beobachter:innen am Ende in Erinnerung bleibst, ist besonders wichtig. Wenn es also eine abschließende Feedbackrunde gibt, ist es sehr empfehlenswert, nochmal die Beiträge der Teilnehmenden, die dich besonders inspiriert haben, wertzuschätzen und dich dafür zu bedanken. Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, ist es immer eine gute Option, anderen für ihre Beiträge zu danken. Das zeigt, dass du aufmerksam bist.

Anderen Raum geben

Das geht in eine ähnliche Richtung wie Zuhören und Wertschätzen, nur noch einen kleinen Schritt weiter. Du kannst z.B. bei einer Gruppenarbeit »heimlich« die Rolle des Moderators/der Moderatorin einnehmen, indem du dich selbst dafür veranwtortlich machst, dass wirklich jede Person gehört wird und die Möglichkeit hat, einen Beitrag zu leisten. Achte darauf, ob es vielleicht Personen gibt, die noch ein bisschen stiller sind als du und mache es zu deiner Verantwortung, dass genau diese Personen Raum bekommen. Wenn du also das Wort ergreifst, kannst du so etwas sagen wie »(Name), du hattest noch gar nicht die Möglichkeit, etwas zu sagen, und ich möchte dich nicht übergehen. Was denkst du?« und zeige dann deine Wertschätzung. 

Das liegt dir viel mehr, als dich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und zeigt echte Führungskompetenz. Außerdem tust du noch dazu etwas Gutes, weil du einer anderen stillen Seele den Raum gibst, sich zu zeigen, wenn sie ihn sich selbst nicht nehmen kann. Wir leisen Menschen müssen schließlich zusammenhalten ;) 

Erst denken, dann sprechen

Als ich einen meiner geschätzten Mentoren nach seinem wichtigsten Tipp für ein AC fragte, meinte er: »Melde dich nicht zu schnell zu Wort, einfach nur, um irgendetwas zu sagen. Es ist völlig okay, stiller zu sein als andere. Aber, wenn du etwas sagst, dann sage etwas, das Bedeutung hat.« Das klingt wie Musik in den Ohren einer Introvertierten. Es ist überhaupt nicht so wichtig, wie schnell du dich zu Wort meldest oder wie groß dein Redeanteil ist. Du musst nicht zu den ersten gehören, die etwas sagen. Wenn du allerdings etwas inhaltlich relevantes zu sagen hast, dann trau auch du dich, das Wort zu ergreifen.  

1:1 Kontakte herstellen

Als introvertierte Person kannst du deine Gedanken und Gefühle meist besser in Eins-zu-eins-Gesprächen zum Ausdruck bringen. Der Speaker und Autor Simon Sinek, der übrigens ebenfalls introvertiert ist, rät dazu, sich dies zunutze zu machen, wenn man einen Vortrag vor mehreren Menschen hält. Indem er während des Vortrags immer nur jeweils einer Person nach der anderen in die Augen sieht, so Simon Sinek, führt er eigentlich ganz viele 1:1-Gespräche. Wenn du also im Rahmen eines ACs deine Ergebnisse vor der Gruppe präsentieren sollst, versuche dir vorzustellen, dass du gar keinen Vortrag vor »vielen« Menschen hältst, sondern widme deine Präsentation Stück für Stück immer jeweils einzelnen Personen nacheinander und schau diese dabei an. Das wird die Nervosität reduzieren. 

Auch in den Pausen (bei denen du bei vielen ACs ebenfalls unter Beobachtung stehst), kannst du 1:1 Gespräche suchen, anstatt dich in eine Gruppe mehrerer Personen zu stellen. Setze dir selbst die Challenge, dass du bei dieser Veranstaltung mindestens eine Person kennenlernst, mit der du dich so gut verstehst, dass ihr danach in Kontakt bleibt. Suche dir in der Pause eine Person, die du interessant findest und wenn sie gerade alleine ist, sprich etwas an ihr an, das dich interessiert. Z.B: »Wo hast du denn den schönen Schal her? Der hat bestimmt eine Geschichte«, oder »Das, was du vorhin bei der Vorstellungsrunde über dein Auslandssemester erzählt hast, finde ich sehr spannend, möchtest du mir mehr davon erzählen?«. Solche 1:1 Gespräche mit Menschen, die dich wirklich interessieren, laden in der Pause deine Akkus eher wieder auf, als Gespräche in einer Gruppe. Zusätzlich erweiterst du dein Netzwerk oder schließt sogar eine lebenslange Freundschaft - wer weiß? Sei neugierig

Stilles Führen

Eine sehr unterschätzte Rolle in der Gruppenarbeit ist die des Schriftführers/der Schriftführerin. Wenn du die Wahl zwischen verschiedenen Rollen in einer Gruppe hast, melde dich freiwillig als Schriftführer:in. Denn: Wer schreibt, der führt. Darüber hinaus gibt es dir die Möglichkeit, ganz still für dich nachzudenken, während die anderen ihre Ideen elaborieren und du Notizen machst. Und: Du kannst währenddessen auch deine eigenen Ideen schriftlich notieren und sie am Ende ergänzen. Nachdem du schon weißt, wie du sie formulieren möchtest. Außerdem kannst du im Nachhinein deine »passivere« Rolle dadurch ausgleichen, dass du (Überraschung!) die Ideen der anderen wertschätzt, zusammenfasst und deine eigenen Vorschläge hinzufügst. Mache dir unbedingt immer Notizen zu dem, was die anderen sagen, auch wenn es dir nicht gelingt, diese Rolle offiziell einzunehmen, damit du zu einem späteren Zeitpunkt darauf eingehen kannst.

Vertrauen statt Panik

Wusstest du, dass den Kandidat:innen bei vielen ACs absichtlich unlösbare Aufgaben gegeben werden? Das heißt: Keine Panik vor allem bei Assignments, die unter Zeitdruck auszuführen sind. Gerade wenn das Gruppenübungen sind, zielen diese vor allem darauf ab, zu sehen, wie die Teilnehmenden auf Stress reagieren. Meistens ist es daher sowieso unmöglich, die Aufgabe in der vorgegebenen Zeit perfekt zu bearbeiten. Wenn du gerade in solchen Situationen dein ruhiges und ausgeglichenes Wesen zeigst und die Aufgabe strukturiert angehst (so, wie du es ohnehin am besten kannst) anstatt in Panik zu geraten, erzielst du sicher ein paar Bonuspunkte. 

Am Ende hast du natürlich nicht alles unter Kontrolle. Auch wenn du top vorbereitet bist und die Stärken deines introvertierten Wesens perfekt ausspielst, kommt es immer noch darauf an, wie sympathisch du den Entscheider:innen bist und welche Art von Person diese suchen. Das kannst du beides nicht beeinflussen. Daher bringt es nichts, sich zu verkrampfen. Gib dein Bestes und vertraue darauf, dass schon die richtige Person den Job bekommt, auch falls das nicht du bist. Vielleicht bedeutet das einfach, dass das sowieso nicht der richtige Job für dich war. Diese kleine Prise Vertrauen in die Entwicklung der Dinge, die du nicht beeinflussen kannst, gibt dir die Gelassenheit, die du brauchst, um du selbst zu bleiben. Und im Endeffekt ist es ja das, was zählt: Einem Beruf nachzugehen, in dem du authentisch sein kannst und genau dafür auch geschätzt wirst. Und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du genau das erreichst.

Welche Berufsbilder und Arbeitsbedingungen sich für Introvertierte besonders eignen, erfährst du hier in einem eigenen Artikel sowie in einer Episode unseres Podcasts.

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