AI-First Companies: Wenn Bewerbende beweisen müssen, dass sie nützlicher sind als eine KI

Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt in rasantem Tempo. Was vor wenigen Jahren noch als Zukunftsvision galt, wird in einigen Unternehmen bereits Realität: Sie erklären sich selbst zu sogenannten AI-First Companies. Hier gilt die Regel, dass Bewerbende im Auswahlprozess zeigen müssen, welchen Mehrwert sie im Vergleich zu einer KI bieten. Das ist eine radikale Verschiebung im Recruiting – und eine Herausforderung für alle, die in diesen Branchen arbeiten oder dort Fuß fassen wollen. In diesem Artikel erfährst du, wie du dich jetzt schon auf die Zukunft der Arbeitswelt vorbereiten kannst und mit welchen Argumenten du deine menschlichen Stärken unersetzbar machst.

von Charlotte Clarke, 1. Oktober 2025 um 17:05
Foto von Immo Wegmann auf Unsplash

Was sind AI-First Companies?

Der Begriff AI-First Companies beschreibt Unternehmen, die Künstliche Intelligenz (KI) nicht nur ergänzend einsetzen, sondern sie ins Zentrum ihrer Wertschöpfung stellen. Während viele Organisationen KI bislang eher als Tool zur Effizienzsteigerung verstehen – also als Unterstützung für menschliche Arbeit – gehen AI First Companies einen entscheidenden Schritt weiter: Sie betrachten KI als Default-Lösung.

Doch wie sieht das konkret aus?

Unternehmen, die KI bislang lediglich als Unterstützung für Prozesse einsetzen, legen nach wie vor den Fokus auf menschliche Fähigkeiten: Menschen bleiben hauptverantwortlich für die Aufgaben und nutzen KI als Werkzeug, um Prozesse zu beschleunigen oder zu vereinfachen. Beispiele: Textvorschläge für E-Mails, automatisierte Datenvisualisierungen, Chatbots für häufig gestellte Fragen im Kundenservice.

Bei AI-First Companies hingegen übernimmt KI Prozesse vollständig – nicht nur einen Teil davon. Menschen greifen nur dann ein, wenn eine Aufgabe eskaliert, unerwartet komplex wird oder eine ethische Entscheidung erfordert.

Beispiele für Prozesse, die KI komplett übernimmt:

  • Kundenservice: KI-gestützte Chatbots beantworten nicht nur Standardfragen, sondern wickeln komplette Servicefälle ab, inklusive Retouren, Reklamationen oder Vertragsänderungen. Mitarbeitende kommen nur noch bei Eskalationen ins Spiel.

  • Content-Produktion: Medienunternehmen lassen Börsenberichte, Sportmeldungen oder Wetterberichte vollständig automatisiert erstellen und veröffentlichen – ohne menschliche Autor:innen.

  • Recruiting-Vorauswahl: KI filtert Bewerbungen, bewertet Lebensläufe nach Skills, erstellt Ranking-Listen und gibt automatisierte Feedbacks an Kandidat:innen. Menschliche Recruiter:innen sehen nur die „Shortlist“, sprich die vorgefilterte Auswahl der (laut KI) vielversprechendsten Kandidat:innen.

  • Finanz- und Buchhaltungsprozesse: KI-Systeme erfassen Rechnungen, prüfen Zahlungseingänge, gleichen Belege ab und erstellen Standardberichte für die Steuererklärung.

  • Vertragsprüfung (LegalTech): KI liest Verträge, markiert kritische Klauseln, schlägt Änderungen vor und erstellt erste Vertragsentwürfe, etwa bei Standard-Dokumenten wie Arbeits- oder Mietverträgen.

  • Datenanalyse & Forecasting: Im Controlling oder Marketing erstellen KI-Systeme eigenständig Prognosen und Reports, teilweise in Echtzeit.
Das könnte dich interessieren:
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Täglich neue Jobs aus Nachhaltigkeit, Soziales und Umwelt. Jetzt für kostenlosen Job-Alert anmelden.

Beispiele für AI First Companies

Einige Unternehmen haben bereits damit begonnen, AI First-Ansätze konsequent umzusetzen. Dazu gehören bislang vor allem (aber nicht ausschließlich) US-amerikanische Tech-Konzerne:

  • Customer Service Tech-Firmen (z.B. LivePerson, Ada) setzen stark auf KI-basierte Chatbots und prüfen genau, welche Aufgaben Menschen noch übernehmen.

  • Medienunternehmen wie Bloomberg oder Associated Press lassen standardisierte Finanz- und Sportmeldungen automatisch generieren.

  • Tech-Giganten wie Google, Microsoft oder OpenAI experimentieren mit AI-First Recruiting-Prozessen für datenlastige Rollen.

  • Weitere Tech-Firmen wie Klarna, Shopify und Zapier springen ebenfalls auch den AI-First-Trend auf und prüfen genau, für welche Rollen menschliche Mitarbeitende noch eingesetzt werden sollen.

  • Start-ups im LegalTech- und FinTech-Bereich stellen gezielt Bewerbende ein, die KI-Outputs einordnen und verantworten können.

Ob und wann dieser Trend flächendeckend nach Deutschland schwappt, ist natürlich ein Blick in die Glaskugel. Aber angesichts der Dynamik im KI-Bereich ist es wahrscheinlich, dass zumindest internationale Unternehmen mit Standorten hierzulande ähnliche Strategien fahren werden.

Welche Jobs sind besonders betroffen?

Wie die oben aufgezählten Beispiele vermuten lassen, stehen vor allem Tätigkeiten im Fokus, die hohe Anteile an Routinearbeit enthalten und auf klar strukturierten Daten basieren. Dazu gehören etwa:

  • Kundenservice & Support (Chatbots übernehmen Standardanfragen)
  • Content Creation (Produktbeschreibungen, einfache Blogtexte, Social Media-Texte)
  • Übersetzungen & Lokalisierung (Viele Sprachleistungen lassen sich automatisieren.)
  • Market Research & Reporting (Datenanalysen und Wettbewerbsberichte sind KI-tauglich.)
  • Juristische Routineaufgaben (Vertragsprüfung oder Standardklauseln)
  • Buchhaltung & Steuer-Standardfälle (Belegerfassung, einfache Steuerreports)
  • Programmierung von Standardcode (Boilerplate- und Routine-Coding)
  • Journalismus im News-Bereich (Börsen-, Wetter- oder Sportmeldungen)
  • HR-Administration (Bewerber-Screening, Terminplanung, Onboarding, Feedbackprozesse)

Was bedeutet das nun konkret für Bewerbende?

Für Bewerbende heißt das: Der klassische Lebenslauf oder ein allgemeines Motivationsschreiben könnten in Zukunft nicht mehr ausreichen. Gefragt ist eine überzeugende Argumentation, warum die eigenen Fähigkeiten über das hinausgehen, was automatisierte Systeme leisten können.

Denn viele menschliche Stärken sind (noch) nicht automatisierbar: Kreativität, Empathie, Kontextverständnis, Führungsqualitäten, Verhandlungsgeschick oder die Fähigkeit, Unsicherheiten zu managen.

Im Bewerbungsprozess werden daher zunehmend folgende Aspekte geprüft:

  • Kritisches Denken: Können Bewerbende Ergebnisse einer KI hinterfragen und interpretieren?
  • Kollaboration & Kommunikation: Wie gut gelingt die Zusammenarbeit im Team? Dazu gehört auch die Konfliktlösung.
  • Ethik & Verantwortung: Wer trifft Entscheidungen, wenn KI-Resultate problematisch sind?
  • Innovation: Wo bringen Menschen neue Perspektiven ein, die über Mustererkennung hinausgehen?

Foto von Getty Images auf Unsplash

Wie Bewerbende argumentieren können: 6 Formulierungsbeispiele

Wer sich in einem AI-First Kontext bewirbt, sollte klar machen, in welcher Hinsicht die eigenen menschlichen Skills unverzichtbar sind. Sechs mögliche Argumentationslinien:

1. Kreativität:

„Ich entwickle neue Ideen und Lösungsansätze, die nicht aus bestehenden Datenmustern ableitbar sind.“

„Ich bin kreativ in Problemlösungen: Wenn Standardlösungen versagen, finde ich neue Wege, statt mich auf Vorlagen zu verlassen.“

„Während automatisierte Tools routinemäßige Analysen schnell erledigen können, habe ich mehrfach bewiesen, dass ich durch kreative Lösungsansätze und Stakeholder-Dialog unerwartete Hürden überwinden konnte.“

2. Empathie: 

„Ich verstehe die Bedürfnisse von Kund:innen, Kolleg:innen und Partner:innen auf einer emotionalen Ebene.“

„Kommunikation auf Augenhöhe – ich kann überzeugen, beraten und beeinflussen, nicht nur Informationen liefern.“

„Ich sehe nicht nur Daten – ich sehe Menschen: Ich erkenne, wenn Kunden frustriert sind, und kann empathisch reagieren, statt nur Regeln abzuarbeiten.“

„Ich bringe Empathie & Kontextverständnis mit, z.B. in Konfliktsituationen mit Kund:innen, in denen Standardantworten nicht reichen.“

3. Kontextverständnis: 

„Ich kann Daten in einen größeren wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Rahmen einordnen.“

„In komplexen Projekten ist Kontext wichtig – ich kann Abhängigkeiten, implizite Faktoren und Nuancen wahrnehmen, die eine KI oft übersieht.“

„Ich bin geübt darin, unsichere oder unvollständige Informationen zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, auch wenn die Datenlage schwach ist.“

4. Strategisches Denken:

„Ich verbinde kurzfristige Analysen mit langfristigen Zielen und gestalte die Zukunft aktiv mit.“

„Ich lerne aus Erfahrungen und kann unstrukturierte Situationen managen, inklusive Unsicherheit und menschlichen Interessenkonflikten.“

„Meine Erfahrung zeigt: Wenn es um strategische Planung und langfristige Beziehungen geht, ist menschliche Intuition und Vertrauen wichtiger als bloße Daten-Outputs.“

5. Verantwortung: 

„Ich übernehme die Entscheidungshoheit, wenn KI-Resultate ethische oder rechtliche Fragen aufwerfen.“

„Ich übernehme Verantwortung in Situationen, in denen Entscheidungen Folgen für Menschen, Finanzen oder Reputation haben – und trage die Konsequenzen.“

6. Vertrauen, Identifikation, Überzeugungskraft:

„Ich bringe meine Persönlichkeit ein – Menschen vertrauen Menschen, nicht Algorithmen.“

„Mit meiner eigenen Geschichte und meinen Erfahrungen kann ich andere inspirieren, sich mit Zielen oder Projekten zu identifizieren.“

„Zwischenmenschliche Chemie entscheidet oft über den Erfolg – Vertrauen entsteht im persönlichen Kontakt.“

„Ich erreiche Menschen dort, wo KI an Grenzen stößt – durch Empathie, Humor und die Fähigkeit, emotionale Verbindung aufzubauen.“

Proaktiv argumentieren: KI-Kompetenzen schon heute in der Bewerbung betonen

Auch wenn viele Unternehmen offiziell (noch) keine AI-First Companies sind, ist es für Bewerbende sinnvoll, ihre unverzichtbaren menschlichen Stärken bereits jetzt aktiv in der Bewerbung hervorzuheben. Besonders in Berufen, die stark von Automatisierung und KI-gestützten Tools betroffen sind, etwa Controlling, Buchhaltung, Market Research oder Content-Erstellung, kann diese strategische Selbstpräsentation für die langfristige Positionierung und Entwicklung innerhalb des Unternehmens entscheidend sein.

Statt nur klassische Hard Skills aufzulisten, lohnt es sich, im Lebenslauf, Anschreiben oder Bewerbungsgespräch gezielt Formulierungen einzubauen, die die eigene Rolle gegenüber KI abgrenzen: „Ich übernehme Verantwortung, wenn Entscheidungen weitreichende Konsequenzen haben“, oder „Ich kann Menschen durch Empathie, Überzeugungskraft und Storytelling emotional erreichen“. Solche Aussagen verdeutlichen, dass die eigenen Fähigkeiten dort greifen, wo KI an Grenzen stößt.

Gleichzeitig ist es ein Vorteil, KI nicht als Gegenspieler, sondern als Kooperationspartner darzustellen. Wenn du zeigst, dass du effizient mit KI-Tools zusammenarbeiten kannst, signalisiert du Zukunftsfähigkeit. Dazu gehören:

  • Die Fähigkeit, KI-Ergebnisse kritisch zu hinterfragen
  • Die Kompetenz, Tools sinnvoll in Arbeitsprozesse einzubinden
  • Der Anspruch, KI als Beschleuniger und nicht als Ersatz zu nutzen

In der Bewerbung kann das beispielsweise so klingen:

  • „Ich nutze KI-gestützte Systeme, um Datenanalysen zu beschleunigen. Die entscheidende Interpretation und Handlungsempfehlung übernehme ich jedoch selbst.“

  • „KI-Tools helfen mir bei der Ideenfindung, die kreative Endauswahl und Umsetzung erfolgt durch meine persönliche Expertise.“

So zeigen Bewerbende, dass sie sowohl menschliche Kernkompetenzen als auch digitale Zukunftskompetenzen mitbringen – eine Kombination, die in nahezu jedem Unternehmen hochrelevant ist, ganz gleich ob es sich offiziell “AI-First” nennt oder nicht.

Fazit: Menschliche Stärken als Wettbewerbsvorteil

AI-First Companies markieren eine neue Ära des Arbeitsmarkts. Statt zu fürchten, ersetzt zu werden, sollten Bewerbende ihre unverwechselbaren menschlichen Fähigkeiten ins Zentrum stellen: Kreativität, Empathie, Ethik, Kontextverständnis und emotionale Verbindung.

Gerade in komplexen Tätigkeitsprofilen zeigt sich: KI kann Prozesse beschleunigen, aber nicht die Verantwortung, das Urteilsvermögen und die Innovationskraft von Menschen ersetzen. Wer diese Kompetenzen klar herausstellt, kann der digitalen Zukunft gelassen entgegensehen.

Mehr zum Thema New Work Jobsuche & Bewerbung KI (Künstliche Intelligenz)
Keine Artikel (und Jobs) verpassen! Den berühmten NachhaltigeJobs-Newsletter kostenlos abonnieren:
Der berühmte (& kostenlose!)
NachhaltigeJobs-Newsletter  
  Ausblenden

Melde dich für unseren NachhaltigeJobs-Newsletter an und verpasse keine spannenden Jobs und Neuigkeiten mehr!
1x pro Woche vollgepackt mit aktuellen Infos: