Bei catchHR entwickelt ihr Software-Tools, die das Recruiting effizienter machen und die Chance erhöhen, wirklich passende Kandidat:innen einzustellen. Magst du uns einen ganz kurzen Überblick über die Features eurer Tools geben?
Sebastian Kielmann: Ja, sehr gerne. Unsere Mission ist es, sowohl für die Kandidat:innen wie für die Recruiter:innen die Bewerbungsprozesse so effizient und wertschätzend wie möglich zu gestalten wie möglich. Vom Anlegen einer neuen Stelle durch unseren catch Companion, das Gestalten (inkl. Visual) und Veröffentlichen der Stellen in den Jobportalen über das Active Sourcing via Social Media, das Extrahieren und Zusammenfassen von Bewerberdaten und das Nachfragen und Nachtragen von fehlenden Daten zu einer Bewerbung bis hin zum Sortieren der Bewerber:innen und Vorschlagen einer Shortlist von Bewerbungen für die Interviews: Alles läuft automatisch über mehrere unterschiedliche KI-Agenten.
Active Sourcing: Wie erreiche ich Kandidat:innen, die gar nicht aktiv auf Jobsuche sind?
Wir empfehlen unseren Jobsuchenden ja gerne die Initiativbewerbung. Auf der anderen Seite, sprich, wenn Arbeitgeber “initiativ” suchen, nennt man das “Active Sourcing”. Was genau versteht man darunter und welche Vorteile hat diese Strategie? Wie kann eure Software genau dabei helfen?
Sebastian: Active Sourcing ist eine äußerst effektive Strategie, um qualifizierte Fach- und Führungskräfte anzusprechen, die sich oft nicht aktiv auf Jobsuche befinden. Hier gestaltet unsere KI Anzeigen, die dann in Social Media an die relevante Zielgruppe und Personas ausgespielt werden, um sie zu motivieren, sich auf die Stelle zu bewerben. Über unsere Lösung fällt kein Aufwand an, alles übernimmt die KI. Die Selektion der Plattformen, das Buchen und Schalten der Kampagne, das Gestalten und die zielgruppengerechte Ansprache bis hin zum Targeting.
Wie spreche ich passive Kandidat:innen am besten an? Was sind die häufigsten Gründe, die Menschen davor zurückhalten, sich aktiv auf die Suche nach einem Job zu machen, der für sie attraktiver ist? Und welche Argumente sind eurer Erfahrung nach besonders überzeugend, um sie doch von einem Jobwechsel zu überzeugen?
Sebastian: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man passive Kandidat:innen am besten über eine persönliche, wertschätzende Ansprache gewinnt. Dabei vermeide ich standardisierte Massentexte. Ich zeige von Anfang an, dass ich wirkliches Interesse an ihren Qualifikationen habe und setze eher auf ein lockeres, aber professionelles Gesprächsniveau. Kurz: Ich versuche, meine Ansprache möglichst relevant und neugierig machend zu gestalten. Warum viele nicht aktiv nach neuen Jobs suchen? Ich schätze, die häufigsten Gründe sind: Komfortzone und Sicherheit, Zeitmangel, Loyalität zum Arbeitgeber und fehlendes Bewusstsein für Alternativen. Argumente, um das Interesse an einem Wechsel zu triggern, sind an erster Stelle definitiv individuelle Weiterentwicklung und attraktive Benefits und Vergütungsmodelle. Gleich danach kommen interessantere Aufgaben und mehr Verantwortung sowie ein modernes Arbeitsumfeld und eine attraktive Unternehmenskultur, was oft auch Work-Life-Balance inkludiert.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Cultural Fit als Grundvoraussetzung für langfristige Mitarbeiterbindung
Qualifizierte Talente einzustellen, ist das eine – sie langfristig zu binden, eine ganz andere Herausforderung. Hohe Personalfluktuation ist für die Arbeitgeber mit enormen Kosten verbunden, die idealerweise durch gute Einstellungsentscheidungen vermieden werden können. Ausschlaggebend für Kündigungen sind oftmals gar nicht primär die Hard Facts wie das Gehalt, sondern eine mangelnde Passung in Bezug auf Führungs- und Unternehmenskultur. Anhand welcher Kriterien und Informationen bewertet eure Software Persönlichkeitsmerkmale, Werte und Präferenzen der Kandidat:innen? Das sind in der Regel keine Informationen, die man explizit in das eigene LinkedIn-Profil schreibt.
Sebastian: Einer der größten Fehler im Recruiting ist, nur auf Skills und Erfahrung zu schauen – und dann zu hoffen, dass es mit der Team- und Unternehmenskultur schon irgendwie passt. Tut es oft nicht. Genau deshalb nutzen wir bei catchHR die ISA-Methode (Individual Strengths Analysis). Statt einfach nur Lebensläufe zu matchen, analysieren wir, wie Kandidat:innen wirklich ticken: Was motiviert sie? Wie arbeiten sie am liebsten? Wie treffen sie Entscheidungen?
Das läuft über einen wissenschaftlich fundierten Fragebogen, der Präferenzen in Bereichen wie Kommunikation, Entscheidungsfindung und Arbeitsweise erfasst. Klingt fancy, ist aber mega effektiv: So sehen wir, ob jemand wirklich ins Team passt. Unsere Lösung kombiniert das mit klassischen Jobanforderungen und sorgt so dafür, dass nicht nur die richtigen Leute eingestellt werden, sondern diese auch bleiben.
Wie mache ich als Jobsuchende:r KI am besten auf mich aufmerksam?
Mal andersherum gedacht: Kann ich als Jobsuchender beeinflussen, inwieweit ich von Recruiting-KIs zum einen gefunden und zum anderen als potentielle:r Kandidat:in identifiziert werde?
Sebastian: Wenn man aktuell aktiv nach etwas Neuem sucht, dann ist das Bewerben immer noch der effektivste Weg. Aber wenn man nicht aktiv auf der Suche ist, aber gefunden werden will, dann gibt es auch da paar Tricks, um von Recruiting-KIs wie unserer bei catchHR gefunden und als relevante:r Kandidat:in eingestuft zu werden. Das fängt mit optimierten Online-Profilen an: Nutze präzise Keywords, die zu deiner Branche und deinen Skills passen. Achte darauf, dass dein LinkedIn-Profil und dein Lebenslauf klar strukturiert sind und relevante Schlagworte enthält – aber ohne Keyword-Stuffing, sonst wirkt es unnatürlich. Zusätzlich hilft es, dein Profil regelmäßig zu aktualisieren und Offenheit für neue Chancen zu signalisieren.
Inwieweit verändert KI die Anforderungen an Bewerber:innen? Gewinnen z.B. bestimmte Soft Skills oder digitale Kompetenzen zunehmend an Bedeutung?
Sebastian: Der Umgang und Erfahrungen mit KI gewinnen schon zunehmend an Bedeutung. Was die Soft Skills angeht, sind unsere KI-Modelle so trainiert, dass sie die Passung zum Unternehmen, Team und Job berücksichtigen, aber nicht global etwas bevorzugen. Das gleiche gilt auch für Kompetenzen, wo die KI diese zum Job matched. Das heißt, dass sich bei KI-Modellen wie der unseren die Anforderungen an die Bewerber:innen nicht verändern, die KI macht nur den Prozess effizienter.
Chancengleichheit und Transparenz beim KI-gestützten Recruiting
Diese Frage wird im Kontext der Anwendung von KI-gestützten Tools bei Personalentscheidungen oft diskutiert, gleichwohl ist sie äußerst wichtig: Wie lässt sich vermeiden, dass KI Diskriminierung und Stereotype reproduziert, z.B. dass vorrangig Menschen einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Alters als “bestes Match” identifiziert werden? Wie geht ihr konkret bei Catch AI mit diesem Thema um? Welche Verantwortung tragt ihr als Entwickler:innen?
Sebastian: Die Verantwortung liegt bei uns, erst recht bei uns in der Forschung und Entwicklung. Zu viel will ich nicht verraten, da es schon Teil unseres Wettbewerbsvorteils ist, wie wir mit den Daten der Kandidat:innen umgehen und wie wir ein Gleichgewicht in den Daten bekommen. Ich verrate aber so viel: Jede eingehende Bewerbung wird von einer KI analysiert und aus den gewonnen Daten wird eine anonymisierte Zusammenfassung in einer vorgegebenen Struktur erzeugt, die dann an eine andere KI, die nur mit den anonymisierten Daten arbeiten muss, weitergegeben wird. Diesen Prozess haben wir vorab viele Male manuell mit Recruiter:innen und Personaler:innen simuliert und gesehen, dass sie anhand der anonymisierten Zusammenfassungen nicht mehr in der Lage waren, Herkunft, Geschlecht, Religion, ethnische Herkunft, Alter usw. zu erkennen. Somit basierten ihre Entscheidungen nur Fakten und vorurteilsbehaftete Entscheidungen konnten minimiert werden. Nur Prozesse, die sich auch ohne KI als passend bewährt haben, werden der KI übergeben. So wird ein passender Prozess effizienter und gleichzeitig behält er seine Qualität.
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre KI-gestützten Recruiting-Prozesse transparent und nachvollziehbar bleiben?
Sebastian: Transparenz in KI-gestütztem Recruiting beginnt damit, dass Unternehmen klar kommunizieren, wie ihre Systeme Entscheidungen treffen. Das bedeutet nicht nur, dass Kandidat:innen wissen sollten, dass eine KI involviert ist, sondern auch, welche Faktoren für die Auswahl entscheidend sind. Bei catchHR setzen wir deshalb auf erklärbare KI: Unsere Algorithmen liefern nicht einfach ein „Ja“ oder „Nein“, sondern zeigen auch auf, warum bestimmte Kandidat:innen als passend eingestuft werden. Recruiter:innen bekommen also nicht nur eine Empfehlung, sondern auch die zugrunde liegenden Matching-Kriterien – sei es eine hohe Übereinstimmung bei Skills, kulturelle Passung oder bestimmte Karriere-Präferenzen.
Der zweite entscheidende Punkt ist “Mensch-in-der-Schleife” statt Black Box. KI kann unglaublich gut Daten analysieren und Muster erkennen, aber sie ist kein Ersatz für menschliches Urteilsvermögen. Deswegen bleibt die finale Entscheidung immer beim Menschen – die KI liefert Vorschläge, keine endgültigen Urteile. Zusätzlich setzen wir auf regelmäßige Audits und Bias-Checks, um sicherzustellen, dass unsere Modelle fair bleiben und keine unerwünschten Verzerrungen entstehen. Transparenz ist kein „Nice-to-Have“, sondern eine Grundvoraussetzung, wenn man Vertrauen in KI-gestützte Prozesse schaffen will – sowohl bei Unternehmen als auch bei Kandidat:innen.
Und was kommt als nächstes? Ein Blick in die Zukunft des Recruitings
Wenn du 10 Jahre in die Zukunft schaust: Wie sieht das Recruiting der Zukunft aus? Welche weiteren Entwicklungen oder technologischen Durchbrüche könnten noch auf uns warten?
Sebastian: 10 Jahre vorauszusagen ist schon sehr sportlich. Ich tue mich sogar damit schwer, die nächsten 2 Jahre realistisch einzuschätzen. Aber wenn ich ein Scifi-Buch über Recruiting in der Zukunft schreiben sollte, dann würde sich meine Geschichte um folgenden Themen drehen: In 10 Jahren wird Recruiting radikal anders aussehen – und zwar nicht nur, weil Prozesse effizienter werden, sondern weil sich das gesamte Verhältnis zwischen Unternehmen und Talenten verändert. Wir bewegen uns weg von traditionellen Bewerbungsprozessen hin zu dynamischen, KI-gesteuerten Talentnetzwerken, in denen sich Menschen und Unternehmen automatisch finden, ohne klassische Bewerbungen. Statt Lebensläufe und Anschreiben wird es kontinuierliche, KI-basierte Karriere-Matching-Systeme geben, die Talente auf Grundlage ihrer Fähigkeiten, Erfahrungen und sogar ihrer Lernkurve laufend mit passenden Möglichkeiten verbinden – oft noc,h bevor sie selbst aktiv suchen.
Technologisch sehe ich hyperpersonalisierte KI-Agenten, die nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Kandidat:innen arbeiten und individuell optimierte Karrierestrategien entwickeln. Gleichzeitig wird der Fokus auf Cultural Fit und Soft Skills deutlich zunehmen, da KI immer besser darin wird, nicht nur Qualifikationen, sondern auch Arbeitsweisen und Werte zu analysieren.
Ein weiteres großes Thema wird Neurotech und Cognitive Computing sein – Technologien, die tiefere Einblicke in individuelle Stärken und Potenziale ermöglichen, ohne klassische Assessments. Kurz gesagt: Recruiting wird proaktiver, intuitiver und stärker von echten Potenzialen und weniger von fixen Jobtiteln bestimmt.
Wo stößt die Technologie an ihre Grenzen? An welchen Stellen im Recruiting-Prozess wird aus deiner Perspektive menschliche Intelligenz unersetzbar bleiben? Oder kannst du dir sogar eine Zukunft mit “vollautomatisiertem” Recruiting vorstellen?
Sebastian: Ich kann mir eine Zukunft mit “vollautomatisiertem” Recruiting vorstellen, will es aber nicht. Obwohl ich mich seit über 20 Jahren mit der Forschung & Entwicklung von KI beschäftige, bin ich kein Verfechter von Vollautomatisierung. Ich sehe es als erstrebenswert an, die KI im Recruiting zu nutzen, um den Prozess so weit zu automatisieren, dass die Recruiter:innen mehr Zeit für die passenden Kandidat:innen haben und sich somit auch mehr Zeit für den Menschen und weniger für die Bewerbung nehmen können.
Aktuell sehe ich die Grenzen der Technologie in ihrer Akzeptanz, beim fehlenden Verständnis für KI, selbst bei einigen Expert:innen, und dass sie oft nicht so gut ist, wie sie nach außen verkauft wird. Außerdem sind viele HR-Prozesse nicht ganz digitalisiert oder per Schnittstellen verknüpfbar, so dass Daten oft nicht zugänglich sind und somit der KI verborgen bleiben. Ohne den richtigen Fragen und die benötigten Daten kann KI einfach keine gute Antworten liefern.
Save the Date: AI Impact Days am 09.04.2025 in Berlin
Ihr seid bei den kommenden AI Impact Days am 09. April 2025 in Berlin als Impulsgeber mit dabei und unterstützt die teilnehmenden Organisation dabei, KI als Katalysator für positiven gesellschaftlichen Wandel zu nutzen. Welchen konkreten Learnings und Impulse möchtet ihr den Teilnehmenden im Rahmen der AI Impact Days mitgeben?
Sebastian: Mehr Zeit für Menschen durch KI. Das ist schon seit Jahren mein Motto und es gewinnt immer mehr an Gewicht.
Über Sebastian Kielmann
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Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Brasilien und ausgebildet in Leicester, UK, bringt Sebastian umfangreiche internationale Erfahrung mit, einschließlich seiner Zeit im Silicon Valley. Seine Mission bei catchHR ist es, das Recruiting von morgen mitzugestalten. Für ihn bedeutet das nicht nur mehr Digitalisierung, Automatisierung und KI, sondern vor allem die Nutzung von Technologie, um Menschen mehr Zeit für Menschen zu ermöglichen.
Neugierig geworden? Hier geht es zur Webseite von catchHR.
AI Impact Days: KI für eine bessere Welt
Die AI IMPACT DAYS sind das führende Praxis-Event für Impact durch künstliche Intelligenz im deutschsprachigen Raum. Erlebe am 09. April 2025 in Berlin live, interaktiv und praxisnah, wie wir Technologie und KI als Katalysator für positiven Wandel nutzen können, um die großen und kleinen Herausforderungen unserer Welt zu bewältigen.
Hier kommen führende Köpfe aus Impact-Unternehmen (Climate Change, Demokratie/Teilhabe, Bildung, Daseinsvorsorgen, Health, Frieden & Freiheit, Wohlfahrt, Sozialunternehmertum) mit Vordenker:innen und Technologieunternehmen aus dem Bereich der KI zusammen. Im Mittelpunkt steht vor allem die praktische Umsetzung von Ideen in Form von interdisziplinären Worksessions (Hackathons / Promptathons), in denen konkrete Fallbeispiele gemeinsam bearbeitet werden.