Berufsbild Coaching: »Die Verantwortung von Coaching für die Förderung einer humanen Arbeitswelt und einer nachhaltigen Gesellschaft wird aktuell explizit eingefordert.«

Unterstützt du gerne andere Menschen dabei, ihre Ziele zu erreichen und ihr eigenes Potenzial zu leben? Dann könnte der Coaching-Beruf für dich interessant sein. Da die Berufsbezeichnung jedoch nicht geschützt ist und sich daher jede*r so nennen kann (und das auch teilweise tut), kann es zur Herausforderung werden, sich von so manchem schwarzen Schaf auf dem Markt abzugrenzen oder gar erst eine geeignete Ausbildung zu finden. Um ein wenig Licht in den “Coaching”-Buzzword-Dschungel zu bringen, haben wir uns daher mal wieder eine Expertin geschnappt: Im Interview sprechen wir mit Dr. Beate Fietze über den neuen Trend-Beruf.
Zwei Männer sitzen sich an einem Tisch am Fenster gegenüber
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von Jana Hansl, 16. Februar 2022 um 23:00

Für wen eignet sich das Berufsfeld Coaching? Welche persönlichen Voraussetzungen und Kompetenzen sollte jemand mitbringen, um Coach zu werden?

Dr. Beate Fietze: Wer überlegt, als Coach tätig zu werden, sollte sich für zwei Aspekte interessieren: Zum einen sollte man sich prinzipiell für Menschen interessieren, gern mit Menschen zusammen sein und bereit sein, sich auf die Belange des*r anderen einzulassen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Coaching nicht von allen anderen helfenden Berufen. Zum anderen sollte man sich für die Arbeitswelt interessieren, denn Coaching ist im Kern eine personenbezogene Prozessberatung mit Bezug zur Arbeitswelt.

Die persönlichen Voraussetzungen und Kompetenzen, über die ein Coach verfügen sollte, sind inzwischen in den Mindeststandards für zertifizierte Coaches durch den Roundtable Coaching e.V. (RTC), dem Zusammenschluss der wichtigsten Coaching-Berufsverbände, differenziert aufgelistet. Dort wird zwischen personenbezogenen Kompetenzen (Selbstkompetenzen und Sozialkompetenzen) und Fachkompetenzen (Theoriekompetenzen, Analyse- und Interventionskompetenzen) unterschieden. Der Blick in diese Auflistung lohnt sich.

Zwei mir besonders wichtige Aspekte möchte ich herausgreifen: Und zwar die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Fähigkeit zur Empathie und zur Nähe-Distanz-Regulierung, denn die eigene Person dient als wichtigstes »Erkenntnis-Medium« und die Beziehungsgestaltung in der Begegnung mit den Klient*innen ist die wirksamste Intervention im Coaching. Außerdem sollte man »neugierig« sein und bleiben und stets bereit sein, sich durch sein Gegenüber überraschen zu lassen.

Coaching scheint etwas zu sein, das Menschen oftmals erst nach einigen Jahren Berufserfahrung für sich als Berufung entdecken. Möchten Sie uns etwas über Ihren persönlichen Weg erzählen? Wie sind Sie dazu gekommen, sich intensiv mit diesem Thema zu befassen?

Fietze: Coaches sind eigentlich alle »Quereinsteiger*innen«. Coaches haben im Durchschnitt über 15 Jahre Berufserfahrung, bevor sie als Coach tätig wurden, weit über die Hälfte in Führungspositionen. Einige erleben die eigenen beruflichen Herausforderungen als »Weckruf« für den Seitenwechsel in die Beratung. Das sind vor allem Menschen aus den Management-Berufen, die nicht mehr als Angestellte arbeiten möchten und eine freiberufliche Tätigkeit suchen. Insbesondere HR-Manager*innen und Personalentwickler*innen können ihr Knowhow im Coaching gut einsetzten.

Der wichtigere Grund für die späte Berufswahl zum*zur Coach liegt jedoch in den Zulassungskriterien für die Weiterbildung zum*zur Coach, die in der Regel das Einstiegsalter von ca. 30 Jahren und eigene Berufserfahrungen voraussetzen. Die Ausbildungskandidat*innen im Coaching können sich deshalb nicht direkt z.B. im Anschluss an das Psychologiestudium zum Coach als Erstberuf qualifizieren.

Coaching wird in der Regel von Menschen in Anspruch genommen, die bereits einen gewissen Weg im Berufsleben zurückgelegt haben. Sie erwarten als Gegenüber eine Person, die selbst über Berufs- und Lebenserfahrung verfügt und der sie deshalb zutrauen, auch schwierige Situationen verstehen und »halten« zu können.

Persönlich habe ich meine Ausbildung Anfang der 2000er Jahre absolviert, also zu einer Zeit, in der Coaching in Deutschland gerade erst aufkam und noch einen Exoten-Status hatte. Ich habe zunächst als Soziologin und Psychologin an verschiedenen Universitäten gearbeitet. Parallel dazu habe ich jedoch immer wieder überlegt, ob ich Therapeutin werden wollte. Aber erst als ich vom Coaching erfahren habe, dessen Fokus auf die arbeitsweltichen Fragestellungen gerichtet ist, habe ich mich für die praktische Beratung entschieden. Gleichzeitig erschien mir das Berufsbild jedoch noch so schillernd und undefiniert, um nicht zu sagen suspekt, dass ich mich fragte, ob man Coaching überhaupt ernst nehmen könne. Diese »Lagebeurteilung« habe ich dann zum Anlass genommen, mich aus soziologischer Perspektive mit der Frage der Professionalisierung von Coaching zu beschäftigen.

Anlässlich des ersten Zusammentreffens der meisten Coachingverbände, aus dem inzwischen der Roundtable Coaching e.V. (RTC) hervorgegangen ist, habe ich im Jahr 2005 mit den Vertrete*innen der Coachingverbände Kontakt aufgenommen. Über diese Vernetzungen habe ich viele interessante Menschen kennengelernt, die sich - sei es in der Forschung, in der Verbandsarbeit oder in der Weiterbildung und natürlich in der Coachingpraxis - für die Entwicklung des Berufsbildes »Coaching« engagieren. Nicht zuletzt habe ich darüber das artop-Institut an der Humboldt Universität zu Berlin kennengelernt, an dem ich heute als Beraterin arbeite.

Seither hat sich viel getan. Es gibt inzwischen eine große internationale Coaching-Community, die sich regelmäßig über Fachzeitschriften und auf Fachtagungen austauscht, z.B. die Zeitschrift Organisation, Supervision, Coaching oder der Internationale Coachingkongress.

Zwei Frauen sitzen sich an einem Tisch vor einem großen Fenster gegenüber und unterhalten sich
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Was tut ein*e Coach genau? Wie sieht der Arbeitsalltag eines Coaches*einer Coach aus und mit welchen Herausforderungen sollte man in diesem Beruf rechnen?

Fietze: Der Arbeitsalltag der Coaches besteht natürlich zunächst im Coaching selbst inklusive der Vor- und Nachbereitungen. Aber – wie bei anderen freiberuflichen Tätigkeiten – gibt es auch eine Reihe weiterer fachlicher und organisatorischer Aufgaben, um den Rahmen für die Beratungsleistung bereitzustellen.

Zu den fachlichen Arbeiten gehört die Qualitätssicherung der eigenen Coachingpraxis durch die regelmäßige Reflexion der eigenen beraterischen Arbeit. Sei es in Form der Intervision – einer intensiven Form der kollegialen Beratung – oder durch eine individuelle Supervision durch eine*n besonders erfahrene*n Kollegen*Kollegin. Ebenso zählt die eigene Weiterbildung dazu – auch das finden wir praktisch in allen anderen Professionen. Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch der organisatorische Aufwand eines Coachs. Dazu gehört z.B. der Erstkontakt am Telefon oder per E-Mail, das Erstgespräch zur Vorabklärung einer möglichen Beratung, die Terminabsprachen oder auch die Kommunikation mit Organisationen im Zuge der Auftragserledigung oder wenn man sich dafür interessiert, in deren Coach-Pool aufgenommen zu werden. Last but noch least gehört zum Arbeitsalltag eines*r Coachs auch alles, was unter Verwaltung gefasst werden kann, etwa die Ablage der Dokumentation wie z.B. Protokolle der Coachingprozesse und natürlich das Rechnungswesen.

Die Frage nach dem Arbeitsalltag von Coaches rückt noch einen weiteren, sehr wichtigen Aspekt in den Blick: Die meisten Coaches arbeiten nämlich gar nicht ausschließlich als Coach im klassischen Einzelsetting mit nur einer Person – wie z.B. im Karrierecoaching. Als Coaches praktizierten die Coaches im Jahr 2020 nur in 37% ihrer Arbeitszeit (vgl. Middendorf: Coaching-Umfrage-Deutschland). Sehr viele sind auch in anderen Beratungsformaten wie z.B. als Trainer*in, als Moderator*in von Workshops oder in der Fortbildung als Lehrende und als Lehrcoach tätig. Zudem weitet sich gegenwärtig das Anwendungsspektrum von Coaching weiter aus: Coaches übernehmen Teamentwicklungsmaßnahmen oder sogar Organisationsentwicklungsprojekte. In diesen größeren Formaten arbeiten sie dann oft nicht mehr als »Einzelkämpfer*innen«, sondern gemeinsam mit Kolleg*innen im Beraterteam.

Außerdem sollten zukünftige Coaches wissen: Für viele Kolleg*innen ist Coaching eine nebenberufliche Tätigkeit. Sie arbeiten z.T. im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung als Angestellte und gleichzeitig als freiberufliche*r Coach. In dieser Konstellation organisieren v.a. auch neue Kolleg*innen ihren Einstieg in die Selbständigkeit.

In dieser Vielfalt der Beschäftigungsmodalitäten spiegelt sich, dass Coaching auch heute noch eine sehr junge Profession ist und dass das gesamte Spektrum der »personenbezogenen Prozessberatung« ein sehr dynamisches Berufsfeld darstellt, in dem viele Formate und Methoden ineinandergreifen und sich überlappen. Das macht es gleichzeitig so spannend, dabei zu sein.

Inwieweit unterscheiden sich Ausbildung und Tätigkeitsprofil im persönlichen/privaten und im Business Coaching?

Fietze: Auch wenn der Begriff »Coaching« immer noch mit unzähligen Bindestrich-Attributen inflationär verwendet wird und auch die Unterscheidung zwischen Live-Coaching und Business-Coaching kursiert, basieren alle (ernstzunehmenden) Varianten auf einer gemeinsamen Grundlage.

Der Begriff Live-Coaching wird z.B. von Ferdinand Buer und Christoph Schmidt-Lellek nicht als Gegensatz zum Business-Coaching verstanden, sondern betont einen ganzheitlichen Ansatz – so wie man heute nicht mehr von »Work-Life-Balance« spricht, sondern von »Life-Balance«, wobei die Arbeit selbstverständlich mit einbezogen wird. Bei dem Begriff »Coaching« denken wir aber immer den Bezug zur Arbeitswelt mit.

Die Binnendifferenzierung innerhalb von Coaching sehe ich stärker durch die jeweiligen Branchen und thematischen Spezialisierungen bestimmt. Denn auch »Business« ist nicht gleich »Business« - es gibt sehr verschiedene Unternehmenstypen, Organisationsstrukturen, Fachkulturen und auch die öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Verwaltungen und Kultureinrichtungen nehmen längst Coaching in Anspruch. Auf der Seite des*r Coachs braucht es entsprechend unterschiedliche »Feldkompetenzen«. Damit ist die Vertrautheit mit den Besonderheiten der jeweiligen Arbeitswelten und Milieus gemeint. Diese Themen kommen zu der Coaching-Grundausbildung hinzu. Die Coaches knüpfen entweder an ihre vorherigen beruflichen Erfahrungen an oder erwerben die Feldkompetenz theoretisch wie praktisch im weiteren Verlauf ihrer beraterischen Tätigkeit.

Woran erkennt man eine seriöse Coaching-Ausbildung? Welche Inhalte werden in einer guten Coaching-Ausbildung vermittelt?

Fietze: Bei der Auswahl einer Coaching-Weiterbildung empfehle ich, sich an den von den durch einen der etablierten Coachingverbände zertifizierten Weiterbildungsanbietern zu orientieren. Wichtig wäre mir dabei die Qualifikation der Seminarleiter*innen selbst, ein klar strukturiertes Curriculum mit einer stimmigen Verbindung von theoretischem Input verschiedener Ansätze und einem ausreichenden Zeitvolumen zur Selbsterfahrung in praktischen Übungen.

Die Selbsterfahrung durch Selbstreflexion und Probehandlungen sind unverzichtbare Übungen auf dem Weg zum*r Coach. Dies geschieht am besten in selbstorganisierten Lerngruppen, in denen sich die Seminarteilnehmer*innen zwischen den Lernmodulen mit den Seminarleiter*innen treffen. Außerdem braucht es für den Praxistransfer auch bereits im Rahmen der Weiterbildung die Möglichkeit, sich als Coach in echten Coachingprozessen auszuprobieren.

Die Anforderung an die Coaches umfasst ein umfangreiches Themenspektrum, das sich in einer Weiterbildung zum*r Coach widerspiegeln sollte.

Die Ausbildungsinhalte habe ich oben schon in dem Hinweis auf die die Zusammenstellung der Mindeststandards für den Kompetenzerwerb des Roundtable Coaching aufgerufen.

Neben den Grundlagen zum Phasenablauf des Coachingprozesses sollten der Zusammenhang von Organisation, Rolle, Führung und Konflikt sowie die Phänomene der Gruppendynamik und der Teambildung thematisiert werden. Ein weiterer Fokus sollte auf den Interventionsmethoden im Coaching liegen. Und nicht zu vernachlässigen ist die Entwicklung persönlicher und sozialer kommunikativer Kompetenz. Außerdem sollte neben den Übungen zum Praxistransfer Raum für das persönliche Profil und die Selbstpositionierung auf dem Markt eingeräumt werden.

In welchen Berufszweigen und Positionen arbeiten nicht-selbstständige Coaches?

Fietze: Ausgebildete Coaches arbeiten häufig in Personalabteilungen oder als interne Organisationsentwickler*innen der Unternehmen - allerdings häufig gar nicht als praktizierende Coaches. Vielen von ihnen haben eine Coaching-Weiterbildung absolviert, um ihre kommunikativen Fähigkeiten weiterzuentwickeln oder um Coaching als Personalentwicklungsangebot einschätzen zu können.

Coaching wird aber auch von festangestellten Coaches innerhalb eines Unternehmens durchgeführt, die im gleichen Unternehmen arbeiten wie ihre Klient*innen. Oftmals können sie ein bestimmtes Stundenkontingent für die Durchführung von Coachingprozessen verwenden, während sie gleichzeitig noch anderen Tätigkeiten innerhalb der Organisation nachgehen. In großen Organisationen lässt sich durch räumliche und organisatorische Entfernungen der Diskretionsschutz gewährleisten. Der Vorteil gegenüber einem*r externen Coach besteht darin, dass die internen Coaches das Unternehmen gut kennen und deshalb die Themen und Probleme ihrer Coaching-Klient*innen sehr schnell erfassen. Der Nachteil liegt aber auch auf der Hand: Durch ihr Anstellungsverhältnis sind auch die Coaches weisungsgebunden und vom gleichen Arbeitgeber ökonomisch abhängig wie ihre Klient*innen und das kann zu Rollen- und Interessenskonflikten führen. Aus diesem Grund plädiere ich für unabhängige, externe Coaches.

Wieviel verdient ein*e Coach? Wie unterscheiden sich hier die Honorare des Business Coachings und des persönlichen Coachings?

Fietze: Seit dem Jahr 2005 wird von Jörg Mittendorf regelmäßig eine Umfrage zur Entwicklung der Coaching-Branche in Deutschland durchgeführt. Die im Jahr 2017 erhobene Preisspreizung zwischen 50 EUR und mehr als 300 EUR pro Stunde ist sehr groß. Von einem Stundensatz von 50 EUR lässt sich der Lebensunterhalt sicher nicht erarbeiten. Im Jahr 2020 lag demnach der durchschnittliche Stundensatz für Männer bei ca. 162 EUR und für Frauen bei ca. 167 EUR. Unternehmen zahlten durchschnittlich ca. 183 EUR bei Männern und ca. 190 EUR bei Frauen, Privatzahlende ca. 131 EUR bei Männern und ca. 135 EUR bei Frauen. Die Rückschlüsse auf die durchschnittlichen Monats- oder Jahreseinnahmen sind jedoch kaum möglich: Wie bereits beschrieben, ist das Tätigkeitsprofil und die Arbeitsorganisation der einzelnen Coaches äußerst unterschiedlich.

zwei Hände, die ineinander greifen
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Wie stehen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt? Was sollten angehende Coaches wissen, um in diesem Gebiet erfolgreich sein zu können?

Fietze: Auf der einen Seite hat sich Coaching als Beruf erstaunlich gut etabliert; es wird von vielen Organisationen immer selbstverständlicher als ein besonders wirksames Personalentwicklungsinstrument eingesetzt und auch privat nachgefragt. Gleichzeitig sind die Ausbildungszyklen höher, als dass alle Absolvent*innen als selbstständige Coaches vom Markt aufgenommen werden könnten - allerdings verfolgen auch nicht alle diese Absicht.

Neben einer qualifizierten Ausbildung braucht ein*e Coach den Zugang zu den Personalabteilungen der Organisationen. Viele Organisationen haben eigene Coach-Pools, in denen die Coaches mit ihrem Kompetenzprofil gelistet sind und aus denen sich die Klient*innen ihren Coach aussuchen können. Viele Coaches schließen sich auch mit Kolleg*innen in mehr oder weniger losen Netzwerken zusammen und präsentieren sich auf gemeinsamen Websites, um darüber eine größere Sichtbarkeit zu erreichen. Dass es nicht leicht ist, sich als Coach individuell zu behaupten, zeigt nicht zuletzt die bereits erwähnte Vielfalt der Tätigkeitsformen. Es ist in jedem Fall sinnvoll, gerade zu Beginn mehrere Standbeine zu haben.

Spätestens durch Corona wurde auch die Coachingpraxis durch Online-Formate erweitert. Die Meinung über die Angemessenheit und über ihre Wirksamkeit von Online-Coaching gehen weit auseinander. Auch die Frage, inwiefern Berufseinsteiger*innen über die verschiedenen Anbieter-Plattformen der Online-Dienstleistung tatsächlich einen tragfähigen Marktzugang erhalten, ist umstritten.

Die Berufsbezeichnung »Coach« ist nicht geschützt, d. h. theoretisch könnte sich jede*r so nennen: Einmal ein Buch über Diäten gelesen und schon hat man sich selbst zum*r »Ernährungscoach« ernannt. Wie können sich seriöse Coaches von den schwarzen Schafen klar abgrenzen?

Fietze: Die Frage nach dem Titelschutz für Coaching spricht ein wichtiges und auch innerhalb der Coaching-Community umstrittenes Thema an. Es berührt das Selbstverständnis der Coaches und die Einschätzung der gesellschaftlichen Relevanz von Coaching. Der Titelschutz bedeutet ja, dass nur diejenigen, die aufgrund einer zertifizierten Qualifikation diesen Titel führen dürfen, auch berechtigt sind, diese Tätigkeit auszuüben. Für den Arztberuf ist uns die exklusive Berufsausübung unmittelbar einsichtig. Wir alle wollen ausschließlich von Ärzt*innen behandelt werden, die mit einer offiziellen Approbation ihre Befähigung für diesen Heilberuf nachweisen können. Darüber hinaus helfen die Ärzte nicht nur ihren persönlichen Patienten*innen, sondern unterstützen das allgemeine Gesundheitswesen und nutzen damit allen.

Was ist nun aber der allgemeine Nutzen von Coaching? Coaching wird aufgrund seiner historischen Genese aus dem Sport und den universitären Tutorien häufig mit dem Bestreben nach individuellem Fortkommen und Selbstoptimierung identifiziert. Diese Position vertreten auch viele Coaches. Gleichzeitig hat sich das Selbstverständnis von Coaching deutlich weiterentwickelt. Insbesondere im europäischen Diskurs wird Coaching als ein geschützter Reflexionsraum verstanden, im dem das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Organisation besprochen werden kann. Coaching ist also nicht nur eine Begleiterscheinung der zunehmenden Individualisierung, sondern zugleich eine Gegenreaktion gegen die Zumutungen der Arbeitswelt, die die Einzelnen bei der Suche nach Orientierung und Handlungsfähigkeit stärkt. Aktuell wird die Verantwortung von Coaching für die Förderung einer humanen Arbeitswelt und einer nachhaltigen Gesellschaft explizit eingefordert.

Meiner Einschätzung nach ist der Titelschutz für Coaching durch die gesellschaftliche Bedeutung von Coaching gut begründet und wäre zudem eine wichtige Unterstützung für die weitere fachliche Entwicklung.

Was die Identifizierung der schwarzen Schafe im Coaching anbetrifft rate ich auch hier, sich v.a. an jene Coaches zu wenden, die sich durch eine einschlägige Qualifikation und Coachingerfahrungen ausweisen können und in einem der anerkannten Coachingverbände organisiert sind. Es gibt inzwischen viele sehr kompetente Kolleg*innen.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Bedarf nach qualifizierten Coaches in Zukunft entwickeln? Bei welchen privaten und beruflichen Herausforderungen werden Coachings immer wichtiger und gefragter?

Fietze: Die Arbeitswelt befindet sich durch die Digitalisierung in einem strukturellen Transformationsprozess. Die gesellschaftliche Komplexität wird im privaten wie beruflichen Kontext auch zukünftig weiter bestehen, wenn nicht gar weiter zunehmen. Damit bleibt auch der Bedarf virulent, die eigene Situation zu reflektieren, sei es die eigene Rolle in einer bestehenden beruflichen Konstellation, sei es die Orientierung für die persönliche Entwicklung. Insofern wird sich die Nachfrage nach Coaching fortsetzen und vermutlich weitere Bereiche erschließen.

Zwei Entwicklungen möchte ich aber herausgreifen, die nach meiner Ansicht eine stärkere Aufmerksamkeit benötigen: Zum einen ist die Entgrenzung zwischen Beruf und Privatsphäre ein wichtiges Coachingthema, das durch Corona noch relevanter geworden ist. Ein weiteres Thema sehe ich in den veränderten Anforderungen an Führungskräfte und damit direkt auch an die Coaches. Ursprünglich war Coaching auf die Begleitung von Führungskräften im klassischen Einzelsetting ausgerichtet. Durch Komplexitätssteigerung der Handlungssituationen und die Veränderung der Organisationsstrukturen wird Führung immer häufiger als Teamaufgabe verstanden. Von den Coaches werden deshalb auch immer häufiger Teamentwicklungsmaßnahmen erwartet.

Beate Fietze
Beate Fietze

Über Dr. Beate Fietze

Frau Dr. Fietze hat an der Berlin Graduate School of Social Sciences der Humboldt-Universität Berlin promoviert und an verschiedenen Universitäten unterrichtet. Als Beauftragte für Forschung und Qualifizierung war sie 2013 bis 2016 für die Deutsche Gesellschaft für Supervision e.V. tätig. Seit 2017 ist sie Beraterin bei artop, Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit ihrer Qualifizierung zum systemischen Coach 2003 an der Diakonischen Akademie Deutschland (DAD) begleitet sie als freiberufliche Beraterin Fach- und Führungskräfte sowie Prozesse der Team- und Organisationsentwicklung. Als Autorin und Expertin engagiert sie sich kontinuierlich auf wissenschaftlichen Tagungen, in Fachgremien und als Fachgutachterin, als Beirätin u.a. des Roundtable Coaching e.V. und der Zeitschrift Coaching: Theorie und Praxis und als Mitherausgeberin der Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching.

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

Bachmann, T. & Fietze, B (2018). Die Digitalisierung von Coaching – Gedanken aus der Perspektive teilnehmender Beobachtung. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 2-18.

Bachmann, T., Gramlich, J., Barth, H. (2019). Digitales Coaching – mehr als ein Trend? Eine vergleichende Analyse des Nutzungsverhaltens digitaler Medien im Coaching bei Coaches und Personalverantwortlichen. Coaching Theorie & Praxis (2019).

Uwe Böning, Heidi Möller, Thomas Giernalczyk (2021): Neuorientierung für das Business-Coaching. Anfragen zur gesellschaftlichen Verantwortung von Coaches.

Dollinger, Anna, Limpächer, Stephan: Internes Coaching: Praxisberichte, Prozesse, Methoden (Beltz Weiterbildung) | | ISBN: 9783407365422 |

Ferdinand Buer, Christoph Schmidt-Lellek: Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2008.

Organisationsberatung, Supervision, Coaching volume 28, pages 425–443 (2021) ttps://doi.org/10.1007/s11613-021-00713-8

Wegener, Robert et al. (Hrsg.; 2020) Coaching im digitalen Wandel.

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